Dienstag, 10. März 2009

Die Suche geht weiter

Der zweite Vermisste ist immer noch nicht gefunden, die Verantwortlichen wird man vermutlich auch nie dingfest machen. Blick in den Dante'schen Schlund.

Der Kommentar der FAZ vom 10.3.2009:

Kölner Stadtarchiv

Die Schuldfrage rückt näher

Von Peter Schilder, Köln

Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma findet in den Trümmern des Stadtarchiv...

Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma findet in den Trümmern des Stadtarchivs einen Teddybären

10. März 2009 Am Wochenende sind in Köln, an der Einsturzstelle des Stadtarchivs, die ersten Plakate aufgetaucht, die nicht nur Trauer bekunden. Dort, wo Blumen liegen und Kerzen brennen, heißt es in ungelenken großen Buchstaben: „Das stinkt doch nach Pfusch. Warum?“ Derjenige, der es schrieb, äußert einen schweren Verdacht, ohne ihn zu konkretisieren. Während die Helfer des Roten Kreuzes, der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks weiterhin nach dem zweiten Vermissten suchen, wird aber auch andernorts immer lauter die Frage nach Schuld und Verantwortung gestellt. Man vernimmt Worte wie Pfusch, Klüngel und Korruption, die niemand gern im Zusammenhang mit diesem Unglück hört und die in Köln doch schon fast zum vertrauten Begriffsreservoir gehören.

Die Bauträger des U-Bahn-Projekts, die Kölner Verkehrsbetriebe, weisen jede Mitschuld zurück. Alles sei ausreichend geprüft und korrekt ausgeführt worden. Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) hingegen mahnte, nun endlich die Bauarbeiten ruhen zu lassen, soweit sie nicht zur Sicherheit notwendig sind. Schramma will eine weitere neutrale Sicherheitsprüfung erreichen und dadurch den Bürgern ihre Angst nehmen.

Jacke des Vermissten gefunden

Auf der Suche nach dem zweiten Vermissten sind die Helfer bei ihren Bergungsa...

Auf der Suche nach dem zweiten Vermissten sind die Helfer bei ihren Bergungsarbeiten schon fünf Meter unterhalb der Straße angekommen

Auf der Suche nach dem immer noch vermissten jungen Mann sind die Helfer am Montag inzwischen fünfeinhalb Meter unter Straßenhöhe angekommen. Dort haben sie eine Jacke mit dem Portemonnaie des Vermissten gefunden, von dem jungen Mann selbst fehlt aber jede Spur. Die Leichenspürhunde haben seit längerer Zeit nicht mehr angeschlagen. So suchten die Feuerwehrleute an zwei Stellen zugleich, wo sie den Körper des 24 Jahre alten Mannes vermuten. „Wir wissen nicht, in welchem Bereich des Hauses er sich aufgehalten hat“, sagte Feuerwehrdirektor Stephan Neuhoff. Auch eine größere Suchaktion in der
Nacht zum Dienstag, an der mehr als 100 Kräfte von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk beteiligt waren, blieb ohne Ergebnis.

Bewohner durften am Montag unter Aufsicht ihre einsturzbedrohten Häuser aufsuchen, und persönliche Gegenstände mitnehmen. Die Häuser waren vorher überprüft worden. Der Vorstand der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), Reinarz, teilte mit, dass Gutachter des TÜV Rheinland die gesamte U-Bahn-Strecke besichtigt hätten und bereit stünden, Häuser besorgter Anwohner zu überprüfen. Die Staatsanwaltschaft will die Unglücksursache von Gutachtern klären lassen. Für die Schüler zweier angrenzender Gymnasien begann am Montag wieder der Unterricht in Ausweichquartieren. Das bislang geborgene Archivgut sei in sehr unterschiedlichem Zustand, sagte Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia. Einige Stücke könnten - wenn überhaupt - nur in jahrelanger Arbeit restauriert werden, andere Teile seien nahezu unbeschädigt.

„Schramma hat Köln allein gelassen“

Zunächst reagierte die Politik auffallend zurückhaltend auf das Unglück. Noch immer scheinen die Kölner Kommunalpolitiker in einer Art Schockstarre zu stecken, die sich aber mit jedem Tag mehr löst. So hat jetzt die SPD-Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes Oberbürgermeister Schramma angegriffen, weil er am Donnerstag kurzfristig nach Österreich fuhr, um seine Frau und sein Gepäck abzuholen, die er dort zurückgelassen hatte, als er Hals über Kopf mit dem Flugzeug aus dem Urlaub nach Köln zurückgekehrt war. Schramma habe Köln allein gelassen, sagte Frau Scho-Antwerpes.

Auch ihre Partei war an den Beschlüssen zum Bau der U-Bahn beteiligt. Zum einen hat die SPD in den neunziger Jahren, als die Grundsatzbeschlüsse für die U-Bahn gefasst wurden, in Köln regiert, zum anderen war damals Jürgen Roters als Regierungspräsident Leiter der Genehmigungsbehörde. Roters ist jetzt Spitzenkandidat der SPD für die Kölner Kommunalwahl in diesem Jahr.

Bau der U-Bahn einstimmig beschlossen

Nur die Grünen können anhand von Ratsprotokollen belegen, dass sie zumindest an den beiden ersten Grundsatzbeschlüssen von 1992 und 1996 nicht beteiligt waren. Sie hatten damals für eine oberirdische Lösung plädiert, die jetzt auch wieder von vielen Kölner Bürgern aus dem Severinsviertel, in dem das Unglück passierte, bevorzugt wird. Der letzte Bau- und Finanzierungsbeschluss ist aber laut Ratsarchiv am 20. Dezember 2001 „einstimmig“ - also auch mit den Stimmen der Grünen - gefallen. Auch die gegenwärtige Führung der Kölner Verkehrsbetriebe ist parteipolitisch sorgfältig austariert. Vorstandssprecher Fenske wird der SPD zugerechnet, KVB-Geschäftsführer Reinarz, der im Vorstand für den Bau der U-Bahn zuständig ist, war einst Vorsitzender der Kölner CDU.

Archivare reinigen die geborgenen historischen Schriftstücke - vieles ist völ...

Archivare reinigen die geborgenen historischen Schriftstücke - vieles ist völlig zerstört, einiges aber auch nahezu unbeschädigt

Jenseits der personellen Verquickungen gibt es aber auch sachliche Gründe für die bisherige Zurückhaltung der Parteien. Noch kann nämlich allenfalls vermutet werden, warum die Erde unter dem Stadtarchiv ins Rutschen kam. Oberbürgermeister Schramma hat einstweilen alle Fraktionsspitzen zum Informationsaustausch eingeladen. Am Mittwoch tritt der Stadtrat zu einer Sondersitzung zusammen.



Text: F.A.Z.
Bildmaterial: ddp, dpa