Donnerstag, 14. August 2025

Am Ende der Welt und am Ziel. Northcape 3000 – Von Honningsvåg zum Nordkapp


Am Ende der Welt. Ich wache auf. Heute noch 30 Kilometer. Vor keiner langen Etappe habe ich mir vorher Gedanken gemacht: Wird das Fahrrad die letzten 30 Kilometer mit vielen Anstiegen in einem Gang bewältigen? Ich wünsche es mir. Das Hotel hat mir ein Lunchpaket zur Verfügung gestellt. Ich stecke es in die Rahmentasche und fahre zu früher Stunde los. Ich möchte nicht mit der großen Gruppe beginnen und angesichts meiner Möglichkeiten durchgereicht werden, sondern genieße die frühe Morgenstunde. Und ich werde belohnt. 



Am Ortsausgang beginnt der epische Teil. Erst sanfte Anstiege, dann immer steiler winden sich die Kehren mit bis zu 7 % auf die Hochebene auf etwas über 200 Höhenmeter. Dort verläuft der grüne Teppich, mit Felsen durchsetzt und einigen Rentieren, bevor es in einer langen Abfahrt wieder auf Meeresniveau hinuntergeht, um sich neuerlich nach oben zu schrauben.



Als ich nach links abbiege, 13 Kilometer vor dem Ziel, erblicke ich auf einer tiefschwarz neu asphaltierten Straße „Merci Caro“ mit Kreide aufgetragen und anschließend ein „Markus Danke“. Das kann nur Olli gewesen sein, der mich zuvor überholt hatte und mit seinem noch intakten Fahrrad schneller ist. Ich weine – das gibt es doch nicht. So etwas bekommen Spitzenfahrer bei der Tour de France. Ich trete noch einmal fest in die Pedale, doch bei den Anstiegen über 8 % kapituliere ich. Ich hole meine Brote aus der Rahmentasche, und während ich das Rad nach oben schiebe, esse ich genüsslich. Was für eine schöne Landschaft, was für eine Ruhe, was für ein wunderbarer Ort. Schließlich kann ich wieder aufs Rad steigen, weil die Steigungen nun etwas geringer ausfallen, ab und zu auch eine kleine Abfahrt dabei ist, um sich dann bis zum Ziel nach oben zu streben.



Ich sehe schon das Besucherzentrum und die Beobachtungskugel, den ikonischen Globus. Am Ende des Nordkapps ist er noch außer Sichtweite. Am Eingang wartet Olli. Wir umarmen uns. 



Ich danke ihm für seine Ermunterung auf der Straße. Die Angestellten des Besucherzentrums kommen in den Bussen herbei, verteilen sich auf das Gebäude und erwecken es mit Leben. Wir haben Zeit, noch vollkommen ungestört, zum Globus zu gehen und Erinnerungsfotos zu schießen. Dann kehren wir zurück. Weitere Fahrer treffen ein. Ihre Ankunft wird registriert. Bald füllt sich die Halle. Bald öffnet die Kaffeebar mit Plätzchen. Es gibt ein Durcheinander der Sprachen und Stimmen. Das Fahrerfeld, das sich über viele hundert Kilometer verstreut hat, rückt nun zum ersten Mal seit dem Start wieder zusammen – diesmal voller Erfahrungen, Erlebnisse und Emotionen. Ein wirklich schöner Augenblick. Der Veranstaltungsfotograf bittet uns zu einem offiziellen Foto. Ein kleiner Austausch.


Inzwischen stürmt und regnet es. Eine Rückfahrt mit ebenso vielen Steigungen kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Inzwischen treffen die ersten Besucherbusse ein, Ladungen mit Schiffspassagieren eines großen Kreuzfahrtdampfers. Ich spreche eine holländische Busfahrerin an, die gerne bereit ist, mich auf der Shuttle-Fahrt nach unten mitzunehmen, wenn ich schnell bin – und wie schnell ich bin. Mein Fahrrad ist bald im Laderaum, ich sitze vorne in der ersten Reihe und schaue durch die Panoramascheibe den ganzen Weg in die andere Richtung an. Nettes Gespräch, aber innerlich bin ich voller Dankbarkeit, es tatsächlich bis zu diesem Ziel geschafft zu haben – und mehr als den halben Kontinent dabei durchquert zu haben. Menschen, die einander nicht kannten, sind sich über die Zeit nähergekommen und begegnet. Wäre dies nicht auch ein Modell für unsere Gesellschaft? Es muss ja nicht eine so überdimensionale Anstrengung sein wie diese, die uns zueinander führt.



Rasch werden für abends noch Verabredungen ausgetauscht, um bei einer Pizza alles Revue passieren zu lassen. Nachdem ich in Honningsvåg angekommen bin, stehe ich am Hafen vor dem riesigen Kreuzfahrtschiff. 



Mein Fahrrad schiebe ich in mein Hotel. Ich bekomme das Zimmer schon am Mittag und zum ersten Mal lege ich mich ohne weitere unmittelbare Aufgabe entspannt nieder. Danke, dass dieser Weg gelungen ist. Danke, dass ich vor größerem Unheil verschont geblieben bin. Danke für die vielen Grüße, die mich unterwegs erreicht haben und das Display meines Tachos motivierend belegt haben.