Dienstag, 12. August 2025

Atemfrisches Norwegen. Northcape 3000 Tag 13 Von Inaria nach Lakselv



Mit meinem Wildnishotel am Ortsrand im Stil der 60er und dem Teppichbodenchsrme der 1970er hadere ich ein wenig. Selbst das Fahrrad darf ich nicht mitnehmen, wird mit Rücksicht auf die kostbare Auslegeware bestimmt. Aber nachdem ich die stark abgenutzten Teppichböden in Flur und Zimmer gesehen habe, habe ich diesbezüglich keine Hemmungen. Nach einem Regentag gilt dem Gefährt meine erste Sorge, ehe ich mich wieder instandsetze

Umso überraschender bin ich, wie reichhaltig das Frühstück am nächsten Morgen ausfällt. Als wolle mich, den skeptischen Besucher, Finnland noch einmal überzeugen. Ich esse ausgiebig und bereite mir für unterwegs noch einen Royal TB und einen Royal L (Lachs) vor. Außerdem stecke ich zwei Joghurts und zwei kleine Croissants für das zweite Frühstück ein.



Nun beginnt ein Weg, der mich über 190 Kilometer Richtung Norden führt. An einem langen Band mit Verpflegungsmöglichkeiten nur in der Nähe meines Startortes in ein paar Cafés am Straßenrand. Diese haben jedoch einen besonderen Charme: massive Blockhüttene mit allerlei Souvenirs, gemütliche Sitzecken und Theken, ein Standardangebot an Kaffee von der Warmhalteplatte, Kaltgetränken und kleinen Snacks für Radfahrer. Es läuft Countrymusik – Whitney Houstons Klassiker I Wanna Dance With Somebody, jedoch im Countrystil. Route 66 goes North.   



Schulbusse sammeln Kinder aus den einsamen Ansiedlungen am Straßenrand ein. Der Alltag läuft hier schon wieder auf Hochtouren. 



Mein Ziel liegt geradeaus, und zum zweiten Mal bläst mir der Wind aus Norden direkt ins Gesicht. Das ist so lange erträglich, bis erste Tropfen vom Himmel fallen. Noch bin ich euphorisiert von einem Verkehrsschild, das erstmals auf das Nordkap hinweist. Doch als sich die Strecke, scheinbar wie abgespult, über Berg und Tal zieht, wird der Regen immer stärker. Er prasselt zwei Stunden lang als Starkregen und geht dann in Dauerregen über.


An der norwegischen Grenze, unterhalb des letzten Supermarkts, lege ich eine kurze Pause ein. Dort hätte ein junger finnischer Regiseur ganz im Stil der großen Vorbilder eine abendfüllende Version der Serie »Discounter« drehen können. 


Ja, ein erwarteter Abschied aus Finnland. 



Erwartungsvoll überquere ich die Grenzbrücke. Während das finnische Länderschild so zugeklebt ist, dass man den Namen des Landes kaum mehr lesen kann, strahlt mich das von Norwegen erwartungsfroh an.



Und ist es nicht seltsam mit Grenzen: Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, öffnet sich die Landschaft weit. Die Häuser wirken stattlich und gepflegt. Die Straßen sind in gutem Zustand. Kein Schild steht schief im Boden. Es ist, als hätte man ein Atemfrischbonbon im Mund. Beschwingt klettere ich bei immer noch fallendem Regen die Anstiege hinauf und erreiche eine Art Passstraße oberhalb des Flusses.



Als ich diesem näherkomme, wird die Szenerie freundlicher. Auch die Wälder scheinen üppiger zu wachsen – alles ruft: „Komm, besuch mich.“ 

So fahre ich weiter und störe mich nicht daran, dass es keinerlei Orte oder Einkehrmöglichkeiten gibt, und beschließe, dem Regen zu trotzen und bis zum Ziel durchzufahren.




Das liegt heute in Lakselv auf einem Campingplatz, der auf den ersten Blick altmodisch wirkt, im Inneren jedoch mit schönen Aufenthaltsräumen und zweckmäßiger Ausstattung überrascht. So kann ich mich hier schnell wieder aufwärmen und erholen. 

Was bleibt von diesem Tag? 

Nichts kann mich heute aufhalten. 

Die Straße das Auf und Ab des Lebens?

Sind Grenzen zu überschreiten sinnvoll, etwa um Perspektiven zu wechseln? 

Dieser Weg ist im Prinzip ein umgekehrter Camino. Anders als bei dem Weg nach Santiago, für den es handfeste Gründe gibt, fehlt am Nordkap ein übergeordnetes Ziel. Aber es ist ein symbolischer Ort. Wir erleben die Weite des Horizonts und können die Zusammenhänge der Welt, auf der wir leben, vielleicht an ihren Rändern besser verstehen. 

Ich habe auf meinem Weg, der nun fast zu Ende ist, an viele Menschen, Situationen und Momente gedacht. Ich konnte vor Glück weinen, weil ich all das Schöne gar nicht fassen konnte. Ich konnte zu mir selbst kommen, trotz aller Anstrengungen. Ich konnte still werden und beten. Und das ist mehr, als sonst im normalen Alltag geschieht