Samstag, 9. August 2025

Bürotag am Polarkreis – Tag 10 vom Northcape 3000 – Von Albsbyn nach Overtorneå



Auch bei solchen Reisen gibt es Tage, die sich anfühlen wie ein Bürotag, an dem man Ablage machen muss.

So wache ich auf. Ich wollte mich eigentlich schon auf ein Frühstücksbuffet freuen, erinnere mich dann aber daran, dass ich ja auf einem Campingplatz in einer Holzhütte bin. Ich suche meine Sachen routiniert zusammen und weiß: Der nächste Café ist 48 Kilometer entfernt. Der Tag ist trübe, nasskalt, wie ein schlechter deutscher Herbsttag.


Also steige ich auf mein Fahrrad, quäle mich ein paar Berge hoch und komme nach Boden. Die Stadt ist nicht sonderlich schön, hat aber genau an der Stelle, an der man auf seinem Tacho die neue Route laden muss, eine herrliche Espresso-Bar. Ganz im Stil von Starbucks, nur besser und liebevoller geführt. Ein Traum: Vitamindrink, Kaffee, belegte Brötchen – was will man mehr.



Bald trudeln auch weitere Fahrer ein, die Bar füllt sich schnell, Geplapper in allen Sprachen. Ich gehe in eine Sitzgruppe, weil ich ja meine Büroablage machen muss. Ich hatte auf zu gutes Wetter gesetzt und wollte den Sprung gleich nach Rovaniemi wagen, aber das ist bei den Windverhältnissen heute illusorisch. Also suche ich mir für die nächsten beiden realistischen Stationen auf der Karte mögliche Campingplätze heraus. An mehr ist überhaupt nicht zu denken, und ich rufe an. Natürlich habe ich dank künstlicher Intelligenz schon alle Floskeln bereitgelegt, auch auf Schwedisch.


Mitt namn är Markus, jag är på cykelresa och behöver en stuga för en natt från den 9 till den 10 augusti…


Ich habe den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da antwortet mir im besten Schweizerdeutsch: „Du chasch au Dütsch mit mir rede.“ Na, das fängt ja gut an, ist dann telefonisch aber schnell erledigt. Beim finnischen Campingplatz versuche ich es gar nicht erst auf Finnisch. Auch hier ist routiniert die nächste Kabine gemietet. Es sind nur noch wenige Tage in der Saison, eigentlich ist sie schon vorbei.


Gut, damit wäre der schwierigste Teil erledigt. Dann habe ich noch einen Termin im Fahrradgeschäft. Aber schnell wird klar, dass ich nicht der Einzige bin. Ich verzichte zugunsten des Flows auf den Termin und vertraue darauf, dass meine eigene Lösung für das Schaltwerk für die nächsten 1.000 Kilometer ausreichend ist.


Weiter geht’s sehr zäh, bei sehr zähem Wetter. Erst einmal ein richtig dicker Regenschauer. Doch ich bewege mich mitten im Feld. Die neue Gruppe gefällt mir: 



Olli, früher einmal deutscher Meister im Triathlon, als Triathlon noch nicht populär war; Caroline aus dem Elsass, die ganz früh losfährt und ganz spät ankommt, auf einem eigens für sie angefertigten, sehr schönen Rad, mit großer innerer Ruhe; Gebhard, ein weiterer langsamer Fahrer, pensionierter Jurist, die Ruhe selbst; eine italienische Gruppe, immer erzählend; und ein schneller Schwabe mit langen Pausen.



Schließlich kämpft sich die Sonne durch, die Wolken verschwinden. Die Landschaft liegt friedlich vor mir, unveränderte Szenerie, aber es stellt sich nach dem morgendlichen Bürotag ein Hochgefühl ein. Ich beginne ein neues Hörbuch. Beim zweiten Supermarkt mit meinen Einkäufen setze ich mich auf schön weiche Torfsäcke und genieße den Moment.


Was wäre das für ein unspektakulärer Arbeitstag im Büro gewesen, wenn nicht wenig später auf einmal das Straßenschild mit der Aufschrift „Polarkreis“ gestanden hätte. Nicht, dass wir schon darauf stehen, aber wir kommen in das Gebiet. Ich bin selbst beeindruckt, was dieses emsige Arbeiten doch alles ermöglicht.


Als Gruppe teilen wir uns ein Haus zu dritt, wieder schön am Wasser gelegen, aber auch die Mücken scheinen schon off-season zu sein. Ach ja, der Schweizer – ganz fürsorglich – hat dann noch ein Buffet aufgebaut. Und so sitze ich mit Olli auf der Veranda, schaue auf die einfach nicht untergehende Sonne und werde dann gleich die lichtdichten Rollos schließen. Sonnenaufgang 3:41Uhr.